Der Weg von Frauen in die wissenschaftliche Gesellschaft war sehr lang und vor allem in Österreich bzw. im österreichischen Kaiserreich sehr viel länger als in anderen europäischen Ländern. Dies ist verwunderlich, da weibliche Alchemistinnen in Österreich und der Habsburgermonarchie durchaus vorhanden waren. Barbara von Cilli fälschte um 1441 Münzen, Salomena Scheinpfluger führte Ende des sechzehnten Jahrhunderts alchemistische Experimente durch, Barbara von Oettingen arbeitete im berühmten Labor von Kaiser Rudolf II. Trotz alledem gab es im 17., 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts keine Chemikerinnen.
Den Grundstein legte wohl 1844 Professor Anton Schrötter, der öffentliche Vorlesungen am Polytechnischen Institut in Wien hielt. Diese wurden 1849 und 1850 auch von Frauen besucht. In den folgenden Jahrzenten gab es immer wieder die Möglichkeit für Frauen bei Vorlesungen zuzuhören bzw, selbst Experimente durchzuführen. Studieren konnten sie in Wien allerdings immer noch nicht.
Margaret(h)e Hönigsberg (verh. Hilferding) war 1897 die erste Frau, die für das Chemiestudium in Wien an der Fakultät für Philosophie zugelassen wurde. Chemie war seit 1849 ein Teil der Fakultät für Philosophie. Hönigsberg war allerdings nur als außerordentliche Studentin zugelassen und als im Jahr 1900 Frauen an der Fakultät für Medizin zugelassen wurden wechselte sie dorthin.
Margarethe Furcht war die erste Frau, die im österreichisch-ungarischen Kaiserreich in Chemie promovierte. Ihr Paper „Über die Esterbildung von aromatischen Sulfonsäuren“ wurde 1902 als zweite Publikation einer Frau im „Monatshefte für Chemie“ veröffentlicht. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie im Technologischen Gewerbemuseum und publizierte einige Artikel. In den frühen 30ern arbeitete sie in der Wiener Fabrik Gustav Ganz & Co, wo sie an der Verbesserung von Radioröhren arbeitete. Als Jüdin emigrierte sie nach der Besetzung Österreichs durch Deutschland 1938 nach England, wo sie als Industriechemikerin in London tätig war.
Nach Margarethe Furcht wurden nur ein bis zwei Frauen jährlich eingeschrieben, während es ungefähr 22 Männer waren. Im Jahr 1919 überstieg die Anzahl der Frauen die der Männer. Dies änderte sich aber schnell wieder und bis 1933 sank der Frauenanteil wieder auf 7%. Die 40 Frauen, die zwischen 1900 und 1919 ein Doktorat abschlossen kamen aus Wien, Galizien (heute ein Teil der Ukraine, Moravia, Bukowina, Niederösterreich, Böhmen, Slowenien, Steiermark, Oberösterreich und Polen (damals Teil von Russland). Über ungefähr die Hälfte dieser Frauen konnten Informationen über ihr späteres Leben zusammengetragen werden, allerdings änderten einige der Frauen ihren Namen nach der Heirat, was die Recherche erschwerte. Viele der Namen dieser Frauen können in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer gefunden werden. Beeindruckend ist, dass 50% der weiblichen Chemie-Doktorandinnen an der Universität Wien jüdischer Abstammung waren, während der Gesamtanteil an Juden in der Habsburgermonarchie bei 4% lag. Das lag vermutlich daran, dass es in Galizien, wo viele Juden und Jüdinnen lebten, damals schon 15 Schulen gab, in denen Frauen mit Matura abschließen konnten (dies war auch damals schon eine Voraussetzung für ein Studium). In Österreich gab es damals erst drei solcher Schulen, zwei in Wien und eine in Salzburg.
Susi Glaubach war die erste österreichische Pharmakologin. Sie studierte ab 1913 Chemie an der Universität Wien. Ihre Doktorarbeit “Über die Oxidation von 1,4- und 1,5-Oxyden” schrieb sie 1916 und erhielt ihr Doktorat im Juni 1917. Ihre Forschungsergebnisse, die sie im Labor des II. Chemischen Instituts durchführte, wurden 1922 von Adolf Franke und Fritz Lieben veröffentlicht. Damals war es üblich, dass die Arbeit von Studierenden nur im Experimentalteil eines Papers gewürdigt wurde. In den nächsten Jahren forschte sie gemeinsam mit Chemikern an diversen Projekten, bis sie 1925 am Pharmakologischen Institut der Universität Wien angestellt wurde. Dort beschäftigte sie sich mit Cyanamidvergiftungen, die Beeinflussung der Temperaturregulierung durch das Schilddrüsenhormon Thyroxin und die hormonelle Regulierung der Urinausscheidung. Auch sie war jüdischer Abstammung und emigrierte 1938 in die USA, wo sie in einem Spital angestellt wurde und zahlreiche Paper zu physiologisch-chemischen Themen veröffentlichte.
Rosa Stern war Pionierin der Tüpfelanalyse. Sie schrieb “Über das Propan-1,3-phenyl-2,2-methyläthyl und Derivate” und promovierte am 22. Juli 1914 – sechs Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Sie blieb am Chemischen Institut und publizierte 1921 gemeinsam mit Fritz Feigl das erste umfassende Paper zur Tüpfelanalyse. Anschließend war sie als Chemikerin in einer Wiener Firma angestellt. Während dieser Zeit meldete sie einige Patente an und veröffentlichte auch weitere wissenschaftliche Artikel. 1939 emigrierte sie zuerst nach London und dann nach Neuseeland, wo sie 1940 im Ministerium für Wissenschaft und Industrie als Chemikerin angestellt wurde. Auch dort veröffentlichte sie zahlreiche wissenschaftliche Studien.
Dies war erst der Anfang einer Reihe von Frauen, die als Pionierinnen ihren Nachfolgerinnen den Weg bereiteten. Seid gespannt, denn in der nächsten Ausgabe des INDIKATOR geht es mit den Frauen an der Fakultät für Chemie weiter.
[1] R. Soukup und R. Rosner, „Scientific contributions of the first female chemists at the University of Vienna mirrored in publications in Chemical Monthly 1902–1919,“ Monatsh Chem, Bd. 150, pp. 961-974, 2019.