In der letzten INDIKATOR Ausgabe ging es um die ersten Chemikerinnen an der Universität Wien. Sie waren die Wegbereiterinnen für viele weitere Frauen, die ihnen an unsere Fakultät folgen sollten. Nun geht es weiter mit der Vorstellung von Pionierinnen in der Chemie.
Lily (Lilli) Bader (geb. Stern) wurde in Wien geboren und besuchte die “Stern’sche Mädchen-Lehr- und Erziehungsanstalt”, die von Verwandten im Jahr 1868 gegründet und 1903 von Lilys Mutter und deren Schwägerin übernommen wurde. Dieses “Stern’sche Mädchenpensionat” war damals die erste Schule, die eine höhere Bildung für Mädchen in Wien ermöglichte. 1914 begann sie Chemie zu studieren, nachdem sie zuvor ein Jahr lang Deutsch studierte. Während der Laborübungen geschahen einige tragische Unfälle. Während der Destillation von Essigsäure zerbrach einer Kommilitonin die Destillationsflasche, die Säure rann über ihr Gesicht und gelang auch in ihre Lunge und sie verlor dabei ihr Augenlicht. Eine andere Kollegin brachte sich mit Kaliumcyanid um. 1919 beendete sie ihr Studium unter Professor Ernst Zerner mit ihrer Dissertation “Über den Aufbau der Stearinsäure und zur Kenntnis der Cholsäure”. Außerdem absolvierte sie die staatliche Prüfung als Klavierlehrerin. 1919 wurde sie Assistentin in der “Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Chemische Industrie und Gewerbe” sie übernahm allerdings ein Jahr später die Direktion des Stern’schen Pensionat. Der Anschluss von Österreich im März 1938 führte zur Arisierung der Stern’schen Schule und im August floh Lily mit ihrem Mann Edwin und ihren Töchtern nach London, wo sie zu Beginn als Dienstmädchen arbeitete. Zufällig traf sie dort im Hyde Park ihren Doktorvater Dr. Zerner. Dieser stellte sie als seine Assistentin an und fand auch eine Jobmöglichkeit für ihren Mann. Allerdings besaßen sie keine Arbeitserlaubnis für das Vereinigte Königreich. Schließlich lebten Lily und Edwin in den USA, wo sie als Klavierlehrerin Unterricht gab, bis Edwin die Zulassung als Arzt bekam. Ab dann arbeitete sie als Rezeptionistin in seiner Praxis.
Martha Fodor (geb. Kohn; ihr Familienname wurde später zu Cornelius geändert), bekam ihren PhD im Februar 1918. Sie führte ihre Experimente im Labor der Ludwig-Spiegler-Stiftung in Wien durch. Ihre Arbeit zum Thema “Zur Kenntnis des Aminoäthylalkohols und seiner Derivate” wurde zusammen mit dem Physiochemiker Sigmund Fraenkel publiziert. Vor dem 2. Weltkrieg war Martha als Chemikerin in Zagreb angestellt. Auch ihr Mann Dr. Otto Fodor, Alumnus der Technischen Hochschule in Berlin, arbeitete als Chemiker in Belgrad. Nach der Invasion der Deutschen Wehrmacht in Zagreb 1941 wurde Martha nach “Hruscica” (höchstwahrscheinlich das KZ Kruščica in Zentralbosnien) deportiert und schlussendlich in das berüchtigte Frauen KZ Loborgrad. Im August 1942 wurde sie nach Auschwitz deportiert, wo sie umgebracht wurde. Auch ihr Mann wurde 1941 von Belgrad in ein nicht bekanntes KZ deportiert.
Käthe Leipelt (geb. Baron) wurde 1893 im heutigen Tschechien geboren. Sie erhielt ihr Doktorat 1917 mit der Arbeit “Über die Einwirkung von Schwefelsäure auf ein ditertiäres Diol”. Nach dem 1. Weltkrieg heiratete sie Dipl. Ing. Konrad Leipelt. Das Paar bekam zwei Kinder und zog nach Deutschland. Ab 1933 war die gesamte Familie von den Bestimmungen der Nürnberger Rassengesetze betroffen. Käthes Mutter, Hermine Baron (geb. Löw), wurde im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, ihr Vater, Arnold Baron war Beamter und starb 1942 in Brno. Die Kinder Hans und Maria galten als “halb jüdisch”. Dennoch meldete sich Hans freiwillig zum Militärdienst. Er wurde allerdings trotz hoher Auszeichnungen (z.B. Eisernes Kreuz) als “Mischling ersten Grades” entlassen. Dank seinem Vater konnte er ein Chemiestudium beginnen und zog 1941 nach München. Nachdem Konrad Leipelt im September 1942 überraschend an einem Herzinfarkt starb, wurde die Familie ihres letzten Schutzes vor den anti-semitischen Attacken des Nazi-Regimes beraubt. Käthe wurde Zwangsarbeiterin in einem Futtermittelunternehmen in Harburg. Hans fand im Februar 1943 ein Flugblatt: es handelte sich dabei um das sechste Flugblatt der “weißen Rose”. Er zeigte dieses seiner Kollegin Marie-Luise Jahn. Sie erinnerte sich noch 60 Jahre danach an diesen Moment: “Gemeinsam lasen wir das Blatt und waren erstaunt, dass jemand den Mut hatte, das zu sagen, was wir dachten, aber nie zu schreiben wagten. Wir waren beeindruckt.” Beide wussten zu dem Zeitpunkt nicht, wer für den Inhalt verantwortlich war. Erst nachdem Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst am 18. Februar 1943 verhaftet und vier Tage später zum Tode verurteilt wurden, wussten sie, wer diesen Aufruf zum Widerstand verbreitete. Den beiden war klar, dass sie diese Arbeit weiterführen mussten. Sie kopierten das Flugblatt mit einer Reiseschreibmaschine und versahen alle Exemplare mit dem Zusatz “Und ihr Geist lebt trotzdem weiter!”. Im Oktober 1943 wurden Hans Leipelt und Marie-Luise Jahn denunziert und verhaftet. Käthe Leipelt reiste sofort nach München, um Hilfe für ihren Sohn zu organisieren. Am 7. Dezember 1943 wurde auch Käthe verhaftet und sie wurde zwei Tage später tot in ihrer Zelle gefunden. Hans Leipelt wurde zum Tode verurteilt und am 29. Februar 1945 hingerichtet. Seine Schwester Maria wurde zu 12 Jahren Haft verurteilt, wurde jedoch im April 1945 von der US-amerikanischen Armee befreit. Sie wurde Biochemikerin und Professorin am Boston College.
In der nächsten Ausgabe des INDIKATOR werden wir die Reihe “Die ersten Frauen an der Fakultät für Chemie” abschließen. Die Rubrik “Frauen in der Chemie” wird selbstverständlich fortgesetzt, da wir auch im obigen Artikel wieder herauslesen können, dass Chemikerinnen häufig unterschätzt wurden und wir oft viel zu wenig über unsere Vorgängerinnen wissen.
[1] R. Soukup und R. Rosner, „Scientific contributions of the first female chemists at the University of Vienna mirrored in publications in Chemical Monthly 1902–1919,“ Monatsh Chem, Bd. 150, pp. 961-974, 2019.