In dieser von nun an monatlich erscheinenden Rubrik wollen wir auch unseren Lehrenden die Möglichkeit geben, etwas über ihre Geschichte mit unserer Fakultät zu erzählen. Dazu wählen sie einen Raum der Fakultät aus, mit dem sie eine Verbindung haben. Der Fokus ist auch euch, liebe Leser:innen, lustige Anekdoten und spannende Fakten vorzustellen. Seht diese Berichte als eine Art Reiseführer durch unsere Fakultät und in diesem Stil werde ich auch diesen Artikel gestalten. Unser Gebäude beherbergt eine Vielzahl an spannenden und geschichtsträchtigen Orten. Doch einer der beeindruckendsten und faszinierendsten ist zweifelsohne der Hörsaal, den jede:r von uns mit wenig Ausnahmen als erstes betreten hat. Der Carl-Auer-von-Welsbach Hörsaal! Doch nun ist es an der Zeit diesen Raum aus der Sicht einer Person zu sehen, die diesen bereits vor über zwei Jahrzehnten betreten hat. Daher möchte ich gerne den Reiseführer für diese Destination vorstellen: o. Univ.-Prof. Dr. Dr. Bernhard Keppler.
Unser Besuch fällt in eine etwas turbulente Zeit, da das neue Semester quasi vor der Tür steht. Da ist es verständlich, dass ich wegen einer etwas längeren Besprechung noch etwas warten muss. Gespannt beobachte ich den Vorraum, den alle durchqueren müssen, die ein Gespräch mit Dekan Keppler führen wollen. Ein nettes Gespräch später öffnet sich das Zimmer des Dekans und ich betrete den Raum, den nur wenige Studierende zu Gesicht bekommen. Groß, mit einem aufgeräumten Tisch und gemütlich. Mein Sherpa begrüßt mich herzlich und führt mich nun zu einem Ort, der einige verborgenen Geschichten mit sich bringt.
Der Weg:
Für alle, die nicht wissen, wo sich das Büro des Dekans befindet: Es ist neben Seminarraum 2. Der Vorschlag von dort aus über den Hof zum Hörsaal zu gehen war dementsprechend sportlich, aber ich vertraue auf die Wegbeschreibung und wir entscheiden uns doch für die Route innerhalb des Gebäudes.
Am Weg stelle ich schon die erste Frage: “Warum ausgerechnet dieser Hörsaal?
Keppler antwortet nüchtern: ”Naja. Ich habe dort angefangen als junger Professor hier in Wien die Studenten zu unterrichten” Der Weg ist nicht weit und doch wird man im Vorbeigehen von allen Seiten gegrüßt. Ich blicke durch die Fenster des Ganges in den Hof, wo sich der Hörsaal 1, wie er manchmal auch genannt wird, befindet. ”Die erste Aufgabe eines Professors ist immer, dass er sich erst mal um die Studenten kümmert. Und damals war es noch so, dass die Leute aus der Pharmazie auch da waren. Und es ist, glaube ich, ganz gut gelungen, viele für das Chemiestudium zu begeistern. Es sind auch einzelne Pharmazeuten zum Chemiestudium gekommen, weil sie gedacht haben, das gefällt ihnen besser und das finden sie interessant.” Wir nähern uns dem Hörsaal durch einen der beiden Hintereingänge im ersten Stock, der normalerweise nicht von Studierenden genutzt wird, und bleiben kurz davor stehen. ”Eigentlich ist das, was am meisten zählt, wenn ein Professor irgendwann mal ein Resümee zieht, was in seinem Leben am meisten Früchte getragen hat. Dann wird er irgendwann darauf kommen, dass es wahrscheinlich einfach die vielen ausgebildeten jungen Leute sind. Was am Ende der Gesellschaft wohl am meisten genutzt hat, also das sollte man sich immer vor Augen halten.” Wir betreten den Hörsaal, während Bernhard Keppler weiter erzählt, ”Es gibt auch noch einen anderen persönlichen Grund, warum es dieser Hörsaal geworden ist. Der Hörsaal steht heute noch in dieser Form vor uns, weil ich damals, als ich Dekan wurde, verhindern konnte, dass dieser Hörsaal komplett abgerissen wird. Eigentlich hätte er von Grund auf renoviert werden sollen und dann so ausgesehen wie die Hörsäle im UZA2. Bänke und Tische raus, Experimentiertisch aus einem Betonblock mit Fliesen drauf. Jetzt ist es, soweit ich weiß, einer der wenigen Hörsäle aus der Zeit des Funktionalismus, das ist die Zeit zwischen Jugendstil und Art Déco. Und fast alles funktioniert noch. Das war mir damals ein großes Anliegen!”
Nachdem ich die Atmosphäre und die für mich fremden Wörter aufgenommen und verdaut habe, stelle ich die zweite Frage: “Haben Sie eine lustige Anekdote aus dem Hörsaal?”
Nach kurzem Überlegen folgt schon die Antwort: ”Lustige Anekdoten gibt es eigentlich nur für meine Hörsaalassistenten. Die tendieren nämlich immer wieder dazu, die Dimensionen etwas größer zu machen, wenn es um Experimente geht, die man zeigen will. Und wenn es dann zu kleineren Verletzungen kommt, muss man die Kollegen erst mal ein bisschen einbremsen. Ne, also gerade wenn es die übliche Knallgasexplosion im Luftballon und so betrifft, muss man schon aufpassen. Das wurde schon ab und zu mal überdimensioniert, dass Leute wirklich Panikattacken bekommen haben. Und natürlich, wenn man die Anfänger hier sitzen hat, erzählt man immer etwas über Einstein, der da in der zweiten Reihe gesessen ist. Am vierten Platz, wo meistens immer wer draufsitzt, der den Geist in sich hineinfließen sieht.”
Indikator: “Wie sind Sie denn das erste Mal mit diesem Raum in Berührung gekommen?”
Keppler: “Ich habe von Anfang an die Grundvorlesung übernommen, weil ich überzeugt bin, dass es die erste Aufgabe eines Kollegen, der hier den Lehrstuhl hat, ist, sich um die Anfänger zu kümmern. Die Anfänger müssen wissen, worum es im Fach geht, was es für ihre persönliche Zukunft bedeutet, dass sie Chemie studieren, und was auf sie zukommt. Diese Aufgabe ist von entscheidender Bedeutung. Sie kann von jemandem, der gerade habilitiert oder noch am Anfang seiner Karriere steht, nicht so übernommen werden wie von jemandem, der bereits als Lehrstuhlinhaber berufen wurde und sich daher am Ende seiner universitätspolitischen Laufbahn befindet. Dieser Person steht die dafür erforderliche Zeit zur Verfügung. Das ist glaube ich auch eine wichtige Aufgabe und dann war es ja auch immer so, dass am Anfang – und da haben wir immer großen Wert darauf gelegt – mit diesem ersten Teil der Vorlesung Lehramtskandidaten und die Hauptfachchemiker noch zusammen sind und man auch den Lehramtskandidaten Eindrücke von der Chemie geben kann, die sie in ihren Praktika nie gewinnen können. In meiner Ausbildung war das noch nicht so, da durften wir alle noch mit Natrium an allem möglichen rumexperimentieren. Das ist ja heute alles aus Sicherheitsgründen so reglementiert, dass man froh sein muss, dass man es den Leuten hier in der Vorlesung zeigen kann und sie zumindest da ein bisschen einen Eindruck bekommen. Wie Chemie aussieht und damit sie auch später Risiken und den Umgang mit solchen Stoffen abschätzen können. Später, Wenn sie wirklich in der Industrie im Forschungslabor sind oder in der Schule was zeigen müssen, müssen sie es ja beherrschen, auch wenn sie selber natürlich nie ausreichend ausprobieren konnten.”
Indikator: ”Was denken Sie über den Namensgeber dieses Hörsaals?”
Keppler: “Er war ein Pionier, der gezeigt hat, dass man in der Chemie etwas machen kann, was auch schnell an großer praktischer Bedeutung gewinnt. Wer Chemie studiert, studiert ein Fach, das den zweit- oder drittgrößten Industriezweig in Österreich repräsentiert. Und damit ist die Chemie auch wirtschaftlich enorm wichtig. Welsbach war ja mit seinen Gasglühlampen und mit seinem Feuerzeug ein Pionier in der Industrie. Das kann man schließlich auch im kleinen Museum in Kärnten sehen. Und anhand seiner persönlichen Karriere kann man das hier sehr schön demonstrieren. Und die Studierenden laufen ja immer im Vorraum an ihm vorbei.”
Indikator: ”Worauf sind Sie aus all den Jahren als Dekan besonders stolz?”
Keppler: ”Na ja, also besonders stolz bin ich darauf, dass ich die Chemie erhalten habe. Als ich hier angefangen habe und auch im Jahr, in dem ich als Dekan die Situation übernommen habe – das war nach der Gründung im neuen Universitätsgesetz –, waren wir so zwischen 10 und 13 Professoren vielleicht?. Das hat dann immer’n bisschen geschwankt. Und wir hatten eigentlich kein Modell für den wissenschaftlichen Nachwuchs und es gab immer so die Tendenz, ob wir uns nicht mit der TU vielleicht zusammenlegen sollen. Und dass wir keine Chemie in Wien machen, weil wir sind ja eh eigentlich zu klein und die TU ist sowieso so fortschrittlich und hat ein neues Gebäude bekommen. Ich habe mir dann überlegt, auch damals gemeinsam mit dem damaligen Rektor Winkler, was in der Chemie Sinn machen würde. Und wir haben uns dann überlegt, dass eine Ausrichtung mehr auf die biochemischen, biologischen Aspekte der Chemie, also jetzt nicht, dass man die Chemie in Richtung Biologie verschiebt, sondern – schließlich ist ja im Leben die Chemie die Grundlage für die ganze belebte Natur – dass man diese Dinge bei den Berufungen etwas mehr in den Vordergrund schiebt und damit auch die Kooperation mit der Medizinischen Fakultät, die ja gerade getrennt wurde, wieder aufnehmen und verstärken kann. Dass man mit diesen hochgerankten Instituten wie IMBA, die sich da in ÖSterreich entwickelt haben stärker in Kooperation kommt und sich dadurch etwas von der TU abgrenzt, die den technischen Chemiker ausbildet. Wir wollten nicht unbedingt eine Konkurrenz sein, weil die das schon sehr gut machen, sondern wir wollten einen sehr breit ausgebildeten Chemiker haben und die Möglichkeit, sich in Richtung Lebensmittelchemie zu vertiefen, was heute ein eigener Masterstudiengang ist, oder Biochemie, was auch ein eigener Masterstudiengang ist. Die Aspekte, die mit Medizinbiologie zu tun haben, sollten in den Vordergrund geschoben werden. Es war damals auch immer schon die Radiochemie da, die wir jetzt zwar nicht als separates Studium haben, aber wir haben eine radiochemische Ausbildung. Auch wir haben jetzt Thomas Mindt, der hier die Radiochemie und das Joint Facility mit der Med Uni oder Joint Radiochemistry Facility betreibt, die Radio Tracer und ähnliches entwickeln. Und das sind eigentlich Aufgabengebiete, in welchem ständig Leute gesucht werden, wo ich also auch angerufen werde, ob wir Studenten haben, die ein bisschen eine Ahnung von Radiochemie haben, weil wir sind, ich glaub neben Innsbruck, die einzige Institution, die dieses Gebiet überhaupt noch in Österreich ausbildet. Radiochemie wird gebraucht, schon allein deswegen, weil in allen Ländern entweder Kernkraftwerke abgebaut oder aufgebaut werden. Eins von beiden. Und alle suchen Radiochemiker, na klar.”
Indikator: ”Und dann noch die letzte Frage. Welche Wünsche hätten Sie für die Fakultät für die Zukunft?”
Keppler: ”Das, das kann man wirklich sagen, wird auch immer wieder von Kolleginnen und Kollegen, die hierher kommen, bestätigt. Das ist entstanden, weil ich immer darauf geachtet habe, manchmal vielleicht auch mit etwas mehr Nachdruck, dass die Leute sich nicht untereinander streiten, sondern dass sie gemeinsam ein gemeinsames Ziel verfolgen und gemeinsam investieren und die Dinge, in die sie investiert haben, auch gemeinsam nutzen. Dass man in Berufungsverhandlungen nie so verhandelt, dass man sagt, ich will das und das für mich haben, sondern dass man immer überlegt, was will ich haben, was nützt auch der Fakultät. Das ist ein Prinzip, das ich bei allen Berufungsverhandlungen immer verfolgt habe. Das ist auch bei den Rektoraten immer gut angekommen. Ich habe jetzt den neuen Dekan schon als Vizedekan die letzten zwei Jahre dazugenommen und ich hoffe, ich bin eigentlich überzeugt, dass er das in diesem Sinne weitermachen wird.”
Damit endet der erste Teil dieser Dokumentation.